Ist es eine silbrig glänzende Schlange oder doch nur ein geplättetes und verformtes Rohr? Die in diesem Jahr neu entstandene lang gestreckte Fußgängerbrücke für eine Bahnstation in Dänemark ist trotz futuristischer Attitüde schlicht. Køge Nord Station ist das Ergebnis eines fruchtbaren Architektenteams bestehend aus zwei bekannten dänischen Büros: COBE Architects und Dissing+Weitling.
25. November 2019 | Özlem Özdemir
Zu bewundern und zu nutzen ist die Bahnanlage für Intercity- und Regionalzüge und S-Bahn seit Juni 2019 in der dänischen Küstenstadt Køge. Besonderes Augenmerk für die Passagiere ist die auf sieben Betonpfeilern aufgelagerte 225 Meter lange Fußgängerbrücke: ein röhrenartiges Gebilde, das sich über stark befahrene Autobahnen legt und Übergänge zwischen den Gleisen schafft. Der Anlass? Die neue zweigleisige Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen Kopenhagen und der landeinwärts in Seeland gelegenen Stadt Ringsted sollte mit der bestehenden S-Bahn-Linie verbunden werden. Der Anspruch? Es gibt mehrere. Östliche und westliche Gebiete der Stadt sollen mehr zusammengebracht werden. Vor allem aber ist Køge Nord Station gedacht als Verkehrsknotenpunkt und Hotspot für die gesamte Metropolregion. Vision ist es gar, zusammen mit dieser architektonischen Maßnahme auch die wirschaftliche Aktivität dieser Region anzuregen. Und schließlich, so die Vorstellung, soll Køge Nord Station fungieren als ein sichtlich neuartiges Tor nach Kopenhagen für die etwa 100.000 täglichen Passagiere und 8.000 täglichen Nutzer. (Ein futuristisches Design wird ihm hier und da nachgesagt, aber dazu kommen wir ganz am Ende zurück.)
Infrastrukturelle Themen können recht komplex sein und umfassen größere statistische Dimensionen und sollen hier nicht kümmern. Dennoch: Gerade das Unkomplizierte, das Kompakte und Glatte des Entwurfs von COBE Architects und Dissling+Weitling gaben vielleicht 2014 den Ausschlag für das Komitee des Wettbewerbs für Køge Nord Station. Und man griff zu. Immerhin, unter den Konkurrenten befand sich der renommierte japanische Architekt Kengo Kuma. Dessen Ansatz war jedoch weniger zurückhaltend und zwar bestand er darin, die Fußgänger beim Überqueren so großzügig und ausdrucksstark wie möglich zu überdachen. (Streckenweise erinnert Kengo Kumas Vorschlag an fledermausartige Schwingen). Das Motto des dänischen Gewinnerprojekts ließe sich im Gegensatz dazu eher mit einem recht undramatischen Umhüllen beschreiben.
COBE Architects, 2006 gegründet von Dan Stubbergaard, ist spätestens seit „Ragnarock“ in Roskilde erfahren darin, mit anderen Architekturbüros zusammen zu arbeiten. (Das Museum für Pop, Rock und Jugendkultur wurde 2016 gemeinsam mit den niederländischen Architekten von MVRDV fertiggestellt.) Mit Køge Nord Station ist nur drei Jahre später ein weiteres Gemeinschaftsprojekt vollbracht. Diesmal stammt der Partner aus dem eigenen Land: Dissing+Weitling. Die gleichnamigen Gründer hatten zuvor bei Arne Jacobsen gearbeitet und nach seinem Tod im Jahre 1971, das Werk des weltweit bekannten Architekten weitergeführt. Das Büro COBE mit seinem Buch und Credo „Urban Living Room“ auf der einen Seite und Dissing+Weitling mit seiner Spezialität, Brücken in aller Herren Länder zu bauen, reichen sich in Køge Nord Station die Hand und kreieren einen Entwurf, der einem Bauwerk für mobile Zwecke eine wohnliche Atmosphäre einhaucht.
Einige Fakten vorweg: Der Gehweg besteht aus insgesamt sechs Stahlelementen, die durchschnittlich 10 Meter breit, 30-40 Meter lang und knapp 3 Meter hoch sind. Insgesamt wiegt die Brücke ca. 150 Tonnen. Soweit zur Konstruktion. Die Form wurde, vielleicht angesichts dieser Ausmaße und Gewichte, sehr geradlinig gewählt, wenn man von den beiden leichten, aber nicht weniger ausgeklügelt wirkenden, Knicken absieht. (Grund der „Biegung“: Das eine Ende des Baukörpers setzt am „Snogebækstien-Weg“ im Osten an und das andere Ende wurde möglichst nahe der Gleise für die Fernzüge nach Westen gelegt.)
Und hier kommt das Schlangenmotiv ins Spiel. Denn diese Richtungsänderung auf nicht mal halber Strecke hat etwas von einer reptilen Geschmeidigkeit. Eine Krümmung mit einem nicht unerheblichen Effekt, denn sie ist es, die verhindert, dass diese lange Brücke zu einem endlosen Tunnel wird. Und sie ist es, die für die Fußgänger eine weitere Sache etwas subtiler gestaltet: die Panoramaqualität (auf die noch eingegangen wird). Weiterhin interessant ist der Umstand, dass diese dezente Verbiegung erst einmal entdeckt werden will, denn aus der Ferne und vom fahrenden Auto oder Zug aus gesehen, ist sie sicherlich praktisch nicht zu erkennen.
Auch der Einfluss der Landschaft auf das Projekt ist ein so feiner Faktor, der kaum merklich ist und dennoch für bemerkenswert gehalten wird, zumindest vom Gewinnerteam: „Darüber hinaus“, hebt es in seinem Erläuterungstext seines Wettbewerbsbeitrags hervor, „folgt die Brücke der Bewegung der Landschaft, die von West nach Ost leicht abfallend ist.“(S.26, Übers. v. d. A.). Eine Nuance, die (so darf man sagen) nur von Architekten aus einem sehr flachen Land, empfunden werden kann.
Hervorgehoben werden muss auch, dass dieses Bauwerk nicht nur eine Brücke ist, sondern ebenso (so sehr man auch diesen Eindruck verhindern will) ein Tunnel oder ein Schlauch, ein gestauchter sogar. Im Schnitt weist die Überführung von Køge Nord Station eine ellipsoide Geometrie auf. Ohne diese Formgebung hätte man nur ein allzu banales Rohr vor Augen, der zudem vom Innenraum her nur glatt und eher hoch, aber nicht weich und eher niedrig gewesen wäre. Der Banalität versuchen die Architekten aber auch mit anderen Mitteln zu entgehen. Stichwort: Kontraste.
So ist schnell erkannt, dass das Äußere der Fußgängerüberführung bedeckt ist mit Metallelementen (genauer gesagt eloxierten Aluminiumpaneelen, deren Aneinanderreihung für eine geriffelte Struktur der Oberfläche sorgt). Begreiflich, wenn man gerade an einem solchen exponierten Ort die physikalischen Einflüsse, wie Regen und Schnee in Kombination mit Wind, bedenkt, und deshalb nach einer möglichst pflegeleichten Lösung sucht. Entgegengesetzt zu diesem kalten und abweisend wirkenden Material fiel die Wahl für die Verkleidung des Innenlebens, um wiederum den psychischen Bedürfnissen zu entsprechen, auf Holz. Die Holzlamellen über den Köpfen der Reisenden haben einen durchgehend gleichen Abstand und sind durchsetzt mit feinen Leuchtbändern, die die dezente Richtungsänderungen nachzeichnen und eine sachte Dynamik evozieren. Nur ab dort wo die Lamellen in den seitlichen Bereich übergehen, liegen sie lückenlos aneinander und werden zu einem wie ausgehöhlten Holzstück, vor der hier und da ähnlich weich geschwungene Sitzebenenen aus demselben Material liegen. Nicht, dass man die Menschen hier dazu drängen wollte, sich längere Zeit nieder zu lassen, aber der ein oder andere, der es nicht allzu eilig hat, wird dieses Angebot gerne annehmen, um auszuruhen und nebenbei die Aussicht zu genießen, den Blick über die Landschaft wandern zu lassen. Gelegenheit hierzu bietet das über die fast gesamte Baukörperlänge gehende raumhohe Fensterband.
Womit wir bei dem zweiten Kontrast angelangt wären: der konsequenten Aufteilung der gebäudeartigen Fußgängerbrücke in zwei Seiten. Die erstere ist, von einigen kleinen schartenartigen Öffnungen ausgenommen, geschlossen (die bereits erwähnte konkave Wand). Diese “verhältnismäßige Geschlossenheit” ist eine ganz bewusste Entscheidung, denn nur so können sich die Fußgänger beim Überqueren der Brücke sicher und geborgen fühlen und gleichzeitig kann nur durch dieses Gegengewicht die zweite Seite so mutig offen gestaltet werden. Und genau hier, wo die Schlange mit der kühlen Außenhaut und der warmen Innenseite gleichsam aufgeschlitzt ist, kommt das dritte Material zum Einsatz, das Glas, das bereits erwähnte Fensterband.
Last but not least bekommt das Glas auch dort seinen Spezialeffect verliehen, wo es besonders heikel wird bei diesem Projekt und das sind die zwei Endpunkte dieser Linie in der Landschaft, die scheinbar frei und haltlos und wie hingeworfen wirkt. Aber: Diese zwei Stellen mit den ellipsenförmigen Glasscheiben sind nur scheinbar Anfang und Ende des Baukörpers, denn für die Nutzer beginnt es bzw. endet es genau genommen dort, wo die landebrückenartigen Treppen und die gläsernen Aufzüge hineinragen und diese sind ein paar Meter weiter im Innenraum. Somit stellt sich die Frage, wie man es schafft, den Fußgängern nicht das Gefühl zu geben im Nichts zu enden oder in der Luft zu hängen, ja, wie man es überhaupt schafft, sie dazu zu bewegen, sozusagen bis zum Äußersten zu gehen und so nah wie möglich an diese schräg angeschnittenen Enden heranzutreten.
COBE Architects und Dissing+Weitling bedienen sich eines Kniffs: Sie lassen die dunkle kühle Grundfläche des Stegs ganz gemütlich in breite Stufen auslaufen. (Fast möchte man hier vielleicht seine Straßenschuhe ausziehen?) So bekommt Køge Nord Station wie nebenbei noch einige Zuschauerreihen, von wo aus man den Auftritt der Landschaft bestaunen kann. Ein weicher Übergang also dort, wo es zu einem abrupten Raumabschluss kommt. Die Architekten entgehen hier der „Ausweglosigkeit“, indem sie die Sackgassen in Aussichtspunkte verwandeln. Passend hierzu sieht die Planung aus, diese Stellen mit Kaffeebarstationen auszustatten. Als wollte man den (vermeintlichen) Futurismus mit ganz viel (echtem) Hygge begegnen. ♦
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