Ein Stadthaus aus Holz? Im Zentrum einer Stadt? In Kaiserslautern? In einer Zeit, in der Themen wie Wohnungsknappheit und Klimawandel die Medien beherrschen, merkt man auf. Denn in solchen Zeiten ist ein mehrgeschossiger Neubau mit ökologischen Vorteilen immer eine erfreuliche Nachricht. Wenn es sich dabei auch noch um eine Holzbaukonstruktion handelt, ist es sogar eine kleine Sensation. MIND Architects Collective ist nun, zusammen mit MMA Manuel Mauder Architekten, eine solche Sensation gelungen. Ihr Wettbewerbsentwurf für ein 7-geschossiges Wohn- und Gewerbeobjekt wird in Kaiserlautern stehen.
2. August 2019 | Özlem Özdemir
B
emerkenswerte Umstände kamen in Kaiserslautern zusammen. Ein Grundstück in der Staubörnchenstraße wurde privat und gezielt erworben. Und ein neuartiges Bauprojekt angestrebt. Ein Projekt, das nichts Geringeres sein soll als ein Vorbild für lebenswertes Wohnen und Arbeiten inmitten von Kaiserslautern. Das Ergebnis ist da und das Zaubermittel lautet: Holz.
MIND Architects Collective, das sind Julia Buschlinger und Jan Dechow. Seit ihrer Bürogründung im kleinen Bischofsheim nimmt das Material Holz einen wichtigen Platz ein. Und diesem preisgekrönten Bürobau aus Holz folgt nun ein größerer Baukörper, das sie zusammen mit MMA Manuel Mauder Architekten entworfen haben. Er soll beweisen, dass dieses umwelt- und menschenfreundliche Naturprodukt auch ein urbanes Potenzial bietet.
Wer hat Angst vor Holz?
Die Bezeichnung Hochhaus wäre vielleicht übertrieben. Aber bei diesem Baustoff gelten andere Maßstäbe. Auch denkt man an ähnliche Pionierprojekte, wie etwa das Hoho in Wien, das hier und da schon als „das größte Streichholz der Welt“ bezeichnet wurde. Julia Buschlinger und Jan Dechow haben Erfahrungen mit den Ängsten vor dem entzündlichen Werkstoff. Außerdem gibt es scheinbar eine ästhetische Skepsis gegenüber warmen Materialien. Der Bauherr Kaiser Projekt hat aber keine Angst vor Holz. Im Gegenteil, er lud mehrere Architekturbüros ein, sich damit zu beschäftigen.
Und der Siegerentwurf zeigt nun, dass Holz sehr wohl sicher genug ist. Besonders wenn man ihn an manchen Stellen mit anderen Materialien kombiniert. Wie Stahlbeton in den lastabtragenden Außenwänden im Erdgeschoss inklusive Fahrstuhlschacht und Zink in der Fassade. Laut Architekten könnten auch die Brandwände aus Holz errichtet werden, wenn man sie mit Faserzementplatten beplankt.
Leporello-Fassade aus Glas
Das Gebäude Staubörnchenstraße 4, das auf einer Sockelzone aus Beton steht, teilt sein Raumprogramm in zwei Bereiche auf: das Vorder – und das Hinterhaus. Vom Letzteren sind äußerlich lediglich die intensivbegrünte Dachterrasse und die Oberlichtkuppeln zu erkennen. Darunter verbirgt sich eine Praxis. Weitere Praxisräume befinden sich in den untersten Geschossen des Vorderhauses.
„Vielseitigkeit mit schlichten Mitteln – das scheint ein Credo zu sein bei diesem Projekt“
Insgesamt präsentiert sich der Baukörper mit abwechslungsreichen Fassaden. Die Straßenseite zum Beispiel besteht aus drei horizontalen Zonen. Das Erdgeschoss mit seinen großen weichen Bögen soll einladend wirken. Denn dahinter verbirgt sich der für alle zugängliche Bereich des Gebäudes: Foyer, Praxisräume und ein multifunktionaler Bereich, der für Gymnastik oder auch Veranstaltungen der Hausgemeinschaft genutzt werden kann. Über diesem eher öffentlichen Raum liegen ab dem zweiten Obergeschoss Wohnungen. Jede von ihnen hat raumhohe, wie gefächert angeordnete, Fenster: eine Glasfassade wie ein Leporello.
Damit bildet die Vorderfassade zusammen mit den so entstehenden Loggien eine Pufferebene zum Straßenraum. Ferner bietet sie Sonnenschutz für die Bewohner. In den zwei obersten Geschossen erhält die Leporello-Fassade einen Knick weniger und auch die Loggien fallen weg. Dafür gibt es in diesem Staffelkörper, als Schutz gegen zu starke Sonneneinstrahlung, eine Markise. Vielseitigkeit mit schlichten Mitteln – das scheint ein Credo zu sein bei diesem Projekt.
Außentreppe mit sozialem Effekt
Verblüffend einfach und effektiv ist auch der Umgang mit der Erschließung. Womit wir bei der Rückfassade angelangt wären. Warum müssen auch Treppen und Aufzüge innerhalb eines Gebäudes liegen? Was passiert, wenn man sie in den Außenraum verlagert, ohne die Stimmung eines Laubengangs aufkommen zu lassen? Hier wurde es nicht nur versucht, sondern auch geschickt umgesetzt.
Die Verlagerung der Treppe nach draußen reduziert das zu beheizende Volumen. Durch den Wegfall eines Treppenhauses bedarf es so auch weniger an Kunstlicht. Dass es sich bei dieser Maßnahme überdies um einen sicheren Rettungsweg handelt, versteht sich von selbst. Interessanter noch ist der soziale Effekt. Die Treppenpodeste weiten sich zu Terrassendecks mit Pflanztrögen und Sitzmöglichkeiten. So entsteht Gemeinschaftsgefühl unter den Bewohnern. Kontakt und Kommunikation wird leicht gemacht. Insbesondere den älteren Menschen.
MIND Architects Collective verbindet Low-Tech mit Wohlgefühl
Bürgermeisterin Beate Kimmel sprach in der Preisverleihung von einem modernen, offenen und freundlichen Gesicht, wonach es die Stadt Kaiserslautern verlangt. Und genau dies spiegelt das Gewinnerprojekt wider. Besonders subtil ist der Gegensatz zwischen Rohbauästhetik und Glasfassade – ein fast pikantes Phänomen, denn die Investition in diese großzügige Verwendung von Glas wäre nicht möglich gewesen, ohne das restliche Low-Tech-Konzept des Gebäudes.
Und wie ein finaler Kontrast eingebettet in alldem: natürlich Holz. Die Konstruktion aus diesem Material bietet eine hochdämmende Gebäudehülle mit geringeren Querschnitten. Und damit auch Raumgewinn in den Außenwänden. Im Innern der Wohnräume werden die Oberflächen der Wände und Decken aus Brettsperrholzoberflächen sichtbar belassen: für das Wohlgefühl der Menschen und zum Schutz der Umwelt. Kurzum: Nachfolger erwünscht! ♦
Zur Website von MIND ARCHITECTS COLLECTIVE