Licht und Farbe, Glas und Wasser, Spiegelungen und Auflösungen und Vernebelungen – all das sind die Kennzeichen der Ann Veronica Janssens. Sie gehören schon seit mehreren Jahrzehnten zu ihrem Repertoire. Mit Hot Pink Turquoise präsentiert das Louisiana einen Überblick über die Werke der in Belgien lebenden und schaffenden Künstlerin, in denen das physikalische Reich der Phänomene und die menschliche Wahrnehmung im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Die Ausstellung dauerte regulär vom 23. 1. bis zum 17. 5. 2020 und wurde nach Unterbrechung durch die Corona-Pandemie bis zum 21.6.2020 verlängert.
8. Februar 2020 – Update 25. Mai 2020 | Özlem Özdemir
D
ie Ausstellung Hot Pink Turquoise wurde benannt nach einem gleichnamigen Werk von Ann Veronica Janssens (geb. 1956). Es zeigt eine helle vertikale Fläche, bestrahlt von zwei Halogenlampen mit Filtern, die für ein wechselndes Spiel, eine changierende Mischung von Farblicht und für viele Fragen sorgen. Kümmern wir uns nicht um Einordnungen, wie etwa, dass die Künstlerin in der Tradition der kalifornischen „Light and Space“- Bewegung der 60 iger Jahre steht. Fragen wir uns lieber: Was passiert hier mit der Wand? Betrachtet man ein Bild? Sehr ästhetisch mag man sofort denken – aber Moment, hatte Ästhetik nicht etwas mit den Sinneswahrnehmungen zu tun, das was die Griechen mit Aisthesis bezeichnen?
Die Ausstellung beinhaltet rund 30 Werke von Ann Veronica Janssens aus den frühen 1990er Jahren bis zur Gegenwart. Sie haben die Form von Objekten, Installationen und Fotografien. Aber auch Performance gehört, dank aktiver Beteiligung der Besucher, dazu.
Janssens‘ Themen kreisen um Raum, Licht und fließende Übergänge. Ihre Arbeiten bestehen aus Elementen wie Holz, Wasser, Luft, Metall (u. a. Chrom, Stahl, Gold) und Glas ( u. a. Floatglas, Securit Glas) aber auch ein Betonstein namens Topargex kommt zum Einsatz. Und schließlich beschäftigt sich die Künstlerin mit Substanzen, die wissenschaftliche Laien neugierig machen dürften, wie etwa Aerogel (ein hochporöser Festkörper, dessen Volumen zu 99,98 % aus Poren besteht) oder Dichroitische Polyesterfolien (die ihre Farbe je nach Betrachtungswinkel, Hintergrund und Sonneneinstrahlung ändern). Doch bei Ann Veronica Janssens sind die handfesten Materialien nur Mittel zum Zweck, denn sie werden allein dafür genutzt, um die enge Auffassung von Material aufzulösen, und das möglichst im wahrsten Sinne des Wortes.
Dem vagen Einstieg dieses Artikels ist es anzumerken: Sich Ann Veronica Janssens zu nähern ist ungefähr so leicht, wie den Nebel oder den Dunst zu greifen, der sicherlich für viele zu ihren anziehendsten künstlerischen Mitteln gehört. Aber dazu später mehr.
Beginnen wir mit einem Beispiel aus dem Werk der Künstlerin aus dem Jahre 1994. Auf den ersten Blick ist es nicht mit der eher vorherrschenden hellen und leichten und zu großem Teil farbenfrohen Stimmung der Ausstellung vereinbar: Corps Noir. Diese halbkugelförmige Plexiglasschale mit einem Durchmesser von 78,5 Zentimern lädt allein aufgrund seiner Gestalt nicht nur zum Anschauen, sondern auch zum Hineinschauen ein. Zu groß ist die Ähnlichkeit mit einem glänzenden Spiegel, der in jeder Wohnung hängen könnte. Wäre da nicht ihre fast unheimliche tiefschwarze Farbe und die nicht minder eigenartige Eigenschaft, das Spiegelbild zu verqueren (was an seiner Art der sphärischen Form liegt). Corps Noir ähnelt einer Linse, die Bilder wie eine Camera obscura verdreht. Die bloße sinnliche Wahrnehmung ist also verwirrend genug. Und besonders spannend wird es, wenn einem plötzlich der runde Spiegel von Jan van Eycks Gemälde Die Arnolfini-Hochzeit aus dem 15. Jahrhundert einfällt – oder besser noch Parmigianinos berühmtes Selbstporträt, das aussieht wie ein Abbild in einem konvexen Spiegel und das zudem gemalt ist auf einem konvexen Untergrund. Aber auch Assoziationen aus der Gegenwart drängen sich auf. Denn es ist, als wäre einem nun endlich völlig klar, warum der Maler Pierre Soulages so überzeugt davon ist, das Schwarz etwas mit Licht zu tun hat. Die Gedanken wandern danach vielleicht zu Anish Kapoor, denn der Bildhauer ist bekannt für seine hypnotisierend schwarz gefärbten Ausbeulungen und Aushöhlungen von Wänden und Böden. Bei Letzteren kam es einmal sogar zu einem Unfall, als jemand in eines von Kapoors Werken fiel; in einen großen Kreis auf dem Boden, der zu schwarz war, um zu erkennen, ob es sich dabei nicht doch um eine Öffnung zu einem tiefen Loch handelte, sodass dieser Besucher vielleicht den Schwebezustand seiner Sinne nicht ertrug und der Versuchung erlag, sich einen Schritt vorzuwagen. Diese Installation von Kapoor trug den bezeichnenden Namen Descent Into Limbo und war etwa zwei Jahre vor Janssens‘ Corps Noir entstanden. Doch Janssens‘ Arbeiten haben nichts von dieser schwelenden Dramatik oder gar Gefährlichkeit. Sie gehört eher zu jenen Künstlern, die die Betrachter auf eine sanfte Weise zur Neugier und Faszination einladen. Warum ist dieses kleine und eher unscheinbare Objekt – übrigens vielleicht eines ihrer wenigen Arbeiten, die einem „klassischen Wandbild“ ähneln – so wichtig in Janssens‘ Gesamtwerk? Diese Frage sollte man im Hinterkopf behalten. Sicher ist: Spätestens an dieser Stelle der Ausstellung spüren die Betrachter, dass es die Künstlerin darauf abgesehen hat, sie durcheinanderzubringen, ihr Sehen und Empfinden von Raum nicht nur vorübergehend auf den Kopf zu stellen, sondern nachhaltig anzuregen.
Fest steht auch, dass Corps Noir für Janssens selbst ein Schlüsselerlebnis war. Zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, mit Licht und Luft modellieren zu können1. Und damit ist es an der Zeit zu erwähnen, dass ihr Vater Architekt war und ihre Mutter in einer Galerie arbeitete. Ursprünglich wollte sie in die Fußstapfen des Vaters treten, aber das Fach erschien ihr zu funktional und Skulpturen von Henry Moore und andere Erfahrungen lenkten sie in die künstlerische Richtung2. (Moore war der Ansicht, was nicht ist, ist ebenso intensiv wie das, was ist – Janssens hat wahrscheinlich eine ähnliche Einstellung.) Corps Noir ist von daher auch als ein persönlicher Triumph gegenüber der Architektur-Zunft zu verstehen: Es ist nicht nur Material, nicht nur Materie, nicht nur das Bodenständige (das Begreifbare und das Vernünftige), was das Potenzial und sozusagen die Lizenz zum Formen und Wirken, kurzum zur Realität, hat3.
Das zeigt auch IPE 650 , eine Arbeit von 2009-17. So wie bei Corps Noir der Name der Arbeit mit der Körperlichkeit und deren Transzendenz spielte, so bedeutungsvoll ist auch der Titel dieser Arbeit: IPE steht für einen Träger aus Stahl, ein Produkt der Bauindustrie. Bei IPE 650 wird ein Konstruktionselement der Architektur, das die Funktion hat, Lasten weiterzuleiten, selbst zur Last, indem es nur auf dem Boden liegt. Die Zahl 650 verrät seine Länge von 6,5 m. Aber das eigentlich Interessante an diesem ready-made-artigen Objekt: die Fläche seines Oberflansches. Hier ist das Metall so stark poliert, dass es wie ein Spiegel den umgebenden Raum wiedergibt. Außerdem erinnert die stark glänzende Fläche an eine Wasserschicht und damit an den flüssigen Zustand, in dem der Stahlträger irgendwann einmal gewesen war oder sie erweckt den Schein, dass es sich hier tatsächlich um ein flüssiges Material handelt. Wie so oft: Physische Reflexionen animieren zum psychischen Reflektieren.
Woher kam der Gedanke, ein technisches Artefakt einer derartig irritierenden und ästhetischen Behandlung – um nicht zu sagen Operation – zu unterziehen? Von Corps Noir mag der Aspekt der Spiegelungen stammen. Die Idee, einen Stahlträger zu verwenden, könnte – und hier kommt ein weiterer Sprung – von der Berliner Nationalgalerie herrühren. Womit wir beim nächsten Werk angelangt sind, denn neben diesem mächtigen und trotz durchgehender Verglasung recht dunkel wirkenden Pavillon (bei dem Mies van der Rohe räumliche Offenheit mithilfe von massiven Kreuzstützen und einer wuchtigen Stahldecke erreichen wollte) errichtete Janssens 2001 einen hellen leichten Pavillon von völlig anderer Art: Blue, Red and Yellow. Das kleine Gebäude wirkt wie ein Container oder ein Karton und besteht aus Stahl, Holz, Polycarbonat und blauen, roten und gelben Folien. Der Inhalt? Künstlicher Nebel.
Warum greift Janssens zu Nebel? Um dieser Frage nachzugehen, sollte man sich erneut die Chronologie von Janssens‘ Oeuvre näher anschauen. Denn je mehr man in ihr Gesamtwerk eintaucht, desto mehr erkennt man die Zusammenhänge zwischen den Arbeiten und man spürt, dass sich über Jahre hinweg ein System von Kombinationsoptionen entwickelt hat. So findet man auch in Blue, Red and Yellow ein Element wieder, das schon 1999 von ihr erforscht wurde. Damals hatte sie den Ganzenmarkt Tunnel von Utrecht in nebulöse Zustände versetzt, genauer gesagt ging in regelmäßigen Abständen eine leichte Rauchfahne durch die Fußgängerunterführung. In Utrecht bekamen diese Schwaden quasi einen Ort zugeordnet, der ihrem Wesen angemessen war: einen Ort des Übergangs, des Dazwischenseins. Neben der Architektur von Mies van der Rohe wurde quasi aus dem Tunnel ein abgeschlossener Ort und Raum, eine eckige Schachtel – als wäre der ephemere Nebel in dieser Verpackung konserviert und über Raum und Zeit hinweg nach Berlin transportiert worden. So wie er 2020, also rund zwei Jahrzehnte später, im dänischen Humlebæk landen sollte, nun aber nicht im Außenraum, sondern inmitten der Ausstellungsflächen des Louisiana Museum of Modern Art.
Nebel oder sagen wir das nebelartige Phänomen ist jedem von uns, der sehen kann, wohlbekannt. Wir begegnen ihm schon als Kind, wenn wir in den ersten kalten Tagen hinausgehen und bemerken, was vorher unsichtbar war: unseren Atem, den wir herauspusten und mit dem wir (welch Wunder) kleine Miniwolken fabrizieren können, die aber sofort wieder verschwinden, wenn wir nicht für Nachschub sorgen. Dann gibt es noch den Nebel auf den Feldern, oder den ganz privaten Nebel, der beim ausgiebigen Duschen entsteht, die weiße flüchtige Masse, die aus Behältern mit flüssigem Stickstoff quillt und natürlich die Wolken, die man im Flugzeug sitzend näher kennenlernen kann. Diese und ähnliche Erfahrungen werden wohl heraufbeschwört, sobald man Blue, Red and Yellow betritt. Aber es geht auch und vor allem um das Hier und Jetzt, die Vergegenwärtigung des Phänomens, die diese Packung voll von Nebel zu bieten hat: Es geht um körperliche Wahrnehmung. Mehr noch: Es geht vielleicht um Fragen wie, wer bin ich, wenn ich mir nicht mehr sicher bin, wo ich bin.
Es überrascht nicht, dass im Netz Videos über dieses Werk kursieren, in denen die Reaktionen der Besucher zum Ausdruck kommen. Da gibt es zum Beispiel eine Gruppe von kleinen Kindern, die kreischen und lachen. Anderer Film: Eine junge Dame verschafft sich erst von außen einen Überblick, nähert sich vorsichtig, schaut die umstehenden anderen Besucherinnen fragend an, macht (immer noch vorsichtig) die Tür auf und lugt hinein. Schließlich erfolgt ein Schnitt und man sieht nur noch Nebel und schemenhafte Körper und langsam wechselnde Farben4. Es ist als würde sich dieser fast unwirkliche Raum gleich einem Chamäleon der bloßen Gegenwart, der Existenz der Besucher angleichen. Oder ist es sogar so, dass die Besucher erst über dieses pulsierende Farbleben sich spüren oder sich ihrer selbst gewahr werden?
Die Besucher, die dieses Kämmerchen betreten, verschwimmen vor den Augen der anderen – und vor sich selbst. Die Wände, die von außen noch sichtbar waren, stellen sich gleichsam als Hochstapler heraus (schließlich sind sie visuell gar nicht so anwesend, wie sie gerade noch vorgaben zu sein). Was ist schon links und rechts, oben und unten? (Das einzige, worauf man sich verlassen kann ist der gute alte Boden, den die Füße permanent spüren). Neben dieser räumlichen Irritation beeinflußt der Nebel auch das Empfinden für Zeit. Die Dinge dringen langsamer zu uns durch und deshalb denken wir, dass die Dinge auch langsamer sind. Einen möglichen Zeitfaktor stellen schließlich die Farben dar, in die der Nebel wie im Zusammenspiel mit den Bewegungen der Besucher getaucht wird – mal in Blau, Rot oder Gelb, wobei aus den Primärfarben wegen der fließenden Übergänge die unterschiedlichsten Töne entstehen. Und wir dürfen nicht vergessen: Erkennbar wird der Nebel in diesem abgeschlossenen Raum erst durch das Licht, das durch die blickdichten Seitenwände und die Decke einströmt. Erst mit der Hilfe von Farbe wird der Nebel modulierbar und erhält eine ihr eigene Dynamik.
Nebel beeinflusst die Körperwahrnehmung insofern, als dass man quasi mit ihrer Stimmung mit-geht: Je weniger präzise die Konturen, je mehr die Verschwommenheit, desto weniger genau nimmt man nicht nur wahr, sondern desto weniger „nimmt man es genau“, bzw. plötzlich werden ganz andere Dinge wichtig oder interessant (Außerdem werden Brillenträger und Kurzsichtige bestätigen können: ohne Sehhilfe lebt es sich, bis zu einem gewissen Grad, entspannter. Man male sich aus, wie es wäre, wenn Konferenzen in Nebelräumen stattfänden – wäre der mentale Zustand möglicherweise nicht milder und nicht etwa unkonzentrierter, sondern besonnener und aufmerksamer?) Das heißt also, dass hier eine interessante Mischung vorliegt: Einerseits hat dieser vernebelte Raum etwas Beunruhigendes – die Orientierung geht verloren usw. – und andererseits ist es gerade diese Richtungslosigkeit, die einen angenehm einlullt und die einen umso mehr auf sich selbst zurückwirft. Nebel drosselt – nicht nur verkehrstechnisch – das Tempo. Vielleicht so ähnlich wie Blinde besser tasten und hören können, schärft die visuelle Unschärfe ganz allgemein die Sinne (was nicht im Gegensatz zur Entspannung stehen muss). Aber diese Umstellung auf die Unschärfe oder Fast-Unsichtbarkeit erfordert Zeit, denn das Terrain ist ungewohnt und neu. Eine sporadische Nebeltherapie wäre auch nicht zuletzt aus soziologischen Gründen effektiv – „Beschleunigungsdenker“ wie etwa Hartmut Rosa wären dem vielleicht nicht abgeneigt.
Bei Blue, Red and Yellow stellt sich auch die gewagte Frage: Hat Janssens es etwa geschafft, eine abstrakte Innenwelt zu konstruieren? Gar einen „Seelenraum“, eine Zone der transformativen bis hin zur spirituellen Atmosphäre? An dieser Stelle lohnt sich der Hinweis auf eine kleine aber vielsagende Postkarte, die der Kurator der Ausstellung, bei einem seiner Besuche, im Atelier von Janssens entdeckt. Das Motiv: ein Detail von Hieronymus Boschs (ca. 1450-1516) Aufstieg der Seligen5. (Engel heben Menschen in „höhere Gefilde“ und in einen Tunnel, von dessen Ende ein fast gleißendes Licht ausgeht, in dem alles Gegenständliche nicht nur unsichtbar, sondern auch unmöglich erscheint.) Man kann dieses, von der Künstlerin offensichtlich bewunderte, Bild nicht nur auf das weiter oben beschriebene Utrechter Tunnel-Projekt von ihr beziehen. Gleichzeitig verweist es auf die nicht greifbare, die seelische Daseinsform.
Janssens macht kein Geheimnis daraus, dass sie sich mit Physik beschäftigt. Allein ihre Auseinandersetzung mit Licht, Optik und immateriellen Phänomenen oder mit Stoffen, die an das Limit ihrer Materialität kommen (wie das eingangs erwähnte Aerogel) und auch ihre Kontakte zu Institutionen wie etwa CERN machen deutlich, wie vertraut sie mit der Wissenschaft ist, wie viel es ihr bedeutet, diese in ihre Kunst einzubringen6. Nichtsdestotrotz, all dies steht im Dienste der Wirkung, und zwar der Wirkung auf die menschliche Psyche: Verunsicherung (sagten wir bereits) und Wanken, Verwirrung und Benommenheit, Verblüffung und Begeisterung und andere Eigenschaften, die die Wahrnehmung unserer selbst und unserer Umgebung auf die Probe stellt. Was kann man mit Grenzen tun (wenn es sie denn gibt)? Was definiert das Sichtbare, was das Unsichtbare? Vielleicht ist das der Fragenkreis, um das sich die künstleriche Forschungsarbeit der Janssens dreht.
Um zum Schluss zu kommen: Ich kann nachempfinden, warum Anders Kold, der diese Ausstellung kuratiert hat, immer wieder auf die Verbindung zwischen Orlando und dem Werk von Ann Veronica Janssens zurückkommt7. (Schließlich hat man den Verdacht, dass der Nebel – das alles verwandelnde und verbindende Naturelement – der heimliche Star ist in dieser Romanverfilmung von Sally Potter.) Mehr noch, ich stelle mir vor wie die Schöpferin von Orlando, die Königin des Stream of Consciousness, Virginia Woolf hier ihre Runden dreht und zwischen den Werken der Künstlerin wandelt. Zweifelsohne, sie wird Corps Noir tiefe Blicke zuwerfen, sie ist verzückt von Bluette, dem Stern aus Licht und sie streichelt verstohlen die an einer Wand angelehnte mondsteinfarbene Glasscheibe mit dem teils kryptischen teils poetischen Namen CL2 Blue Shadow und sie steigt mit unverhohlener Verträumtheit auf eines der Fahrräder, die fast nur aus Spiegeln bestehen und später wird sie zugeben: Aus Blue, Red and Yellow musste man mich förmlich herauszerren. Aber am liebsten verweilt sie – die große Liebhaberin des Meeres – im letzten Raum des Südflügels des Museums, dort wo man freien Ausblick hat auf den Øresund und das vielleicht unsichtbarste, das fast immateriellste und grenzenloseste Werk dieser Ausstellung entdecken kann, das Ann Veronica Janssens eigens für diesen Ort geschaffen hat: Horizon. ♦
¹ Matthieu Poirier: Fleeting Elements / Ausstellungskatalog „Ann Veronica Janssens. Hot Pink Turquoise“ (hrsg. von Louisiana Museum of Modern Art und South London Gallery), S. 33
2 Matthieu Poirier: Fleeting Elements / Ausstellungskatalog (s. 1), S. 31
3 Interessant wäre zu hören, was Janssens von renommierten Architekturbüros hält, die den instabilen Nebel mit standfesten Gebäuden kombinieren. So stellt Diller Scofidio + Renfro mit ihrem Projekt Blur Building während der Schweizer Landesausstellung 2002 im Drei-Seen-Land mit Hilfe von Nebelmassen eine „Architektur der Atmosphäre“ vor.
4 Siehe: https://vimeo.com/31377797; letzter Zugriff 7.2.2020
5 Anders Kold: Above and Beyond / Ausstellungskatalog (s. 1), S. 11f.
6 Im Rahmen der Ausstellung werden Filme gezeigt, in denen Janssens mit zwei dänischen Physikern über Begriffe wie Licht, Flüssigkeit und optische Phänomene spricht. Bei den beiden Physikern handelt es sich um Professor Kristine Niss (RUC in Roskilde), und Troels Petersen, außerordentlicher Professor für experimentelle subatomare Physik am Niels-Bohr-Institut der Universität Kopenhagen. Siehe auch: https://channel.louisiana.dk/video/ann-veronica-janssens-passion-light; letzter Zugriff 6.2.2020
7 Anders Kold: Above and Beyond / Ausstellungskatalog (s. 1), S. 9ff.
Zur Website von LOUISIANA MUSEUM OF MODERN ART
Reflections on fog and other phenomena: HOT PINK TURQUOISE – Ann Veronica Janssens in the Louisiana Museum of Modern Art
Light and colour, glass and water, reflections and dissolutions and nebulizations – all these are the characteristics of Ann Veronica Janssens. They have been part of her repertoire for several decades. With Hot Pink Turquoise, the Louisiana presents an overview of the works of the artist – who lives and works in Belgium – in which the physical realm of phenomena and human perception are at the centre of attention. The exhibition regularly lasted from 23. 1. to 17. 5. 2020 and was extended until 21.6.2020 after being interrupted by the corona pandemic.
The exhibition Hot Pink Turquoise was named after a work of the same title by Ann Veronica Janssens (born 1956). It shows a bright vertical surface, illuminated by two halogen lamps with filters, which create a shifting play, an iridescent mixture of coloured light and many questions. Let’s not worry about classifications, such as that the artist is in the tradition of the Californian „Light and Space“ movement of the 60s. Let’s rather ask ourselves: what is happening to the wall here? Are we looking at a picture? Very aesthetic, one might think immediately – but wait, didn’t aesthetics have something to do with the sensory perceptions, what the Greeks call aisthesis?
The exhibition includes around 30 works by Ann Veronica Janssens from the early 1990s to the present. They take the form of objects, installations, and photographs. But thanks to the active participation of the visitors, performance is also part of the exhibition.
Janssens’ themes revolve around space, light and flowing transitions. Her works consist of elements such as wood, water, air, metal (including chrome, steel, gold) and glass (including float glass, Securit glass), but also a concrete stone called Topargex is used. And finally, the artist deals with substances that are likely to arouse the curiosity of scientific laymen, such as aerogel (a highly porous solid whose volume consists of 99.98% pores) or dichroic polyester films (which change colour depending on the angle of view, background and sunlight). Yet in Ann Veronica Janssens‘ work, tangible materials are only a means to an end, as they are used solely to dissolve the narrow concept of material, if possible in the truest sense of the word.
As you can tell from the vague introduction to this article: Approaching Ann Veronica Janssens is about as easy as reaching for the fog or haze that is surely one of her most attractive artistic mediums for many. But more about that later.
Let’s start with an example from the artist’s work from 1994, which at first glance is not compatible with the rather predominant light and airy and, to a large extent, colourful mood of the exhibition: Corps Noir. This hemispherical Plexiglas bowl with a diameter of 78.5 centimeters invites us not only to look at it but also to look inside, simply because of its shape. It bears too great a resemblance to a shiny mirror that could hang in any apartment. Were it not for its almost uncanny deep black colour and the no less peculiar property of distorting the mirror image (which is due to its spherical shape). Corps Noir resembles a lens that twists images like a camera obscura. So the mere sensory perception is confusing enough. And it gets particularly exciting when you suddenly recall the round mirror of Jan van Eyck’s 15th-century painting The Arnolfini Wedding – or better still, Parmigianino’s famous self-portrait, which looks like an image in a convex mirror and which, moreover, is painted on a convex background. But associations from the present also come to mind. It’s as if it’s finally clear why the painter Pierre Soulages is so convinced that black has something to do with light. Thoughts may then wander to Anish Kapoor, for the sculptor is known for his hypnotic black-coloured bulges and hollows in walls and floors. In the latter case, there was even an accident once when someone fell into one of Kapoor’s works; into a large circle on the floor that was too black to see if it was an opening to a deep hole so that this visitor perhaps couldn’t bear the hovering of his senses and succumbed to the temptation to take a step forward. Kapoor’s installation was called Descent Into Limbo and was made about two years before Janssens‘ Corps Noir. Yet Janssens‘ works have nothing of this smouldering drama or even dangerousness. Rather, she belongs to those artists who gently invite the viewer to be curious and fascinated. Why is this small and rather inconspicuous object – incidentally, perhaps one of her few works that resemble a „classical mural“ – so important in Janssens’ oeuvre? This question should be kept in mind. One thing is certain: at this point in the exhibition, at the latest, viewers sense that the artist’s intention is to confuse them, to not only temporarily turn their seeing and sensing of space upside down, but to stimulate it in a lasting way.
It is also clear that Corps Noir was a key experience for Janssens herself. For the first time she had the impression that she could model with light and air1. And so it is about time, to mention that her father was an architect and her mother was working in a gallery. Originally, she wanted to follow in her father’s footsteps, but the profession seemed too functional to her and sculptures by Henry Moore and other experiences led her in the artistic direction2. (Moore believed that what is not is as intense as what is – Janssens probably has a similar attitude.) Therefore, Corps Noir can also be seen as a personal triumph over the architecture guild: It is not only material, not only matter, not only the down-to-earth (the comprehensible and the rational) that has the potential and, so to speak, the license to form and function, in short, to create reality3.
This is also demonstrated by IPE 650, a work from 2009-17. Just as in Corps Noir the name of the work played with corporeality and its transcendence, the title of this work is also significant: IPE stands for a steel beam, a product of the construction industry. In IPE 650, a structural element of architecture that has the function of transferring loads becomes a load itself by simply lying on the floor. The number 650 indicates its length of 6.5 m. But the really interesting thing about this ready-made-like object: the surface of its top flange. Here, the metal is so highly polished that it reflects the surrounding space like a mirror. Besides, the highly shiny surface is reminiscent of a layer of water and thus of the liquid state in which the steel beam had once been, or it suggests that this is a liquid material. As is so often the case: reflections from the physical world encourage psychological reflection.
Where did the idea come from to subject a technical artifact to such an irritating and aesthetic treatment – not to say surgery? The aspect of reflections may have its origins in Corps Noir. The idea of using a steel girder could stem from – and here we have another leap – the Berlin National Gallery. Which brings us to the next work, because adjacent to this mighty pavilion (which despite its continuous glazing appears quite dark, and where Mies van der Rohe wanted to achieve spatial openness with the help of massive cross steel columns and a massive steel ceiling), Janssens built a lightweight, bright pavilion of a completely different kind in 2001: Blue, Red and Yellow. The small building looks like a container or cardboard box and is made of steel, wood, polycarbonate and blue, red and yellow films. The contents? Artificial fog.
Why does Janssens resort to fog? In order to pursue this question, one should again take a closer look at the chronology of Janssens oeuvre. For the more one delves into her body of work, the more one recognizes the connections between the various artworks and one feels that a system of combinatorial options has developed over the years. Thus, Blue, Red and Yellow also contains an element that she already explored in 1999. Back then, she had put the Ganzenmarkt Tunnel of Utrecht into a nebulous state; to be more precise, a light trail of smoke went through the pedestrian underpass at regular intervals. In Utrecht, these wafts of mist were allocated to a place that was appropriate to their nature: a place of transition, of being in between. In parallel with Mies van der Rohe’s architecture, the tunnel became, so to speak, a closed place and space, an angular box – as if the ephemeral fog had been preserved in this packaging and transported to Berlin across space and time. Just as it was to end up in the Danish town of Humlebæk in 2020, some two decades later, but now not outdoors, but in the middle of the exhibition spaces of the Louisiana Museum of Modern Art.
Fog or let’s say the fog-like phenomenon is well known to all of us who can see. We already encounter it as a child when we go out in the first cold days and notice what was invisible before: our breath, which we blow out and with which we can make (what a miracle) small mini clouds, which disappear again immediately if we don’t supply them. Then there is the fog in the fields, or the very private fog that is created during extensive showers, the white volatile mass that swells out of containers with liquid nitrogen, and of course the clouds that one can get to know closer while sitting in an airplane. These and similar experiences are probably conjured up as soon as one enters Blue, Red and Yellow. But it is also and above all about the here and now, the realization of the phenomenon that this package full of fog has to offer: It’s about bodily perception. More than that, it is perhaps about questions like, who am I when I am no longer sure where I am.
It is not surprising that videos about this work are circulating on the web, in which the reactions of the visitors are expressed. For example, there is a group of small children screaming and laughing. Another film: A young lady first gets an overview from the outside, approaches cautiously, looks at the other visitors around her questioningly, opens (still cautiously) the door and peeps in. Finally, a cut is made and all you see is fog and hazy bodies and slowly changing colours4. It is as if this almost unreal room was a chameleon, which adapts to the mere presence and existence of the visitors. Or is it even the case that the visitors only feel themselves or become aware of themselves through this pulsating colour life?
The visitors who enter this chamber become blurred before the eyes of others – and before themselves. The walls, which were still visible from the outside, turn out to be impostors (after all, they are visually not as present as they pretended to be). What is left and right, up and down? (The only thing you can rely on is the good old floor, which your feet permanently sense). Besides this spatial irritation, the fog also influences the sensation of time. Things penetrate us more slowly and therefore we think that things are slower. Finally, a possible time factor is represented by the colours in which the fog is immersed as if in interaction with the movements of the visitors – sometimes in blue, red or yellow, whereby the most diverse tones are created from the primary colours due to the flowing transitions. And we must not forget: The fog in this enclosed space can only be recognized by the light that comes in through the opaque side walls and the ceiling. It is only with the help of colour that the fog becomes modulable and acquires its own dynamic.
Fog influences the perception of the body to the extent that one virtually goes along with its mood: The less clear-cut the contours, the more the blurring, the less precisely one not only perceives, but the less „one gets really picky“, or suddenly completely different things become important or interesting. (In addition, spectacle wearers and short-sighted people will be able to confirm: Without visual aids, life is, to a certain extent, more relaxed. Imagine what it would be like if conferences were held in foggy rooms – would the mental state possibly not be milder and not more unfocused, but more level-headed and attentive?) Thus, on the one hand, there is something disturbing about this misty room – orientation is lost, etc. – and on the other hand, it is this same lack of direction that makes you pleasantly feel lulled and reflects you back on yourself all the more. Fog slows down the pace – not only traffic-wise. Maybe just as blind people can touch and hear better, visual blurriness generally sharpens the senses (which need not be in contrast to relaxation). But this adjustment to blurriness or near-invisibility takes time because the terrain is unfamiliar and new. Occasional fog therapy would be effective not least for sociological reasons – „acceleration thinkers“ such as Hartmut Rosa would perhaps not be averse to this.
With Blue, Red and Yellow, the daring question arises: Did Janssens succeed in constructing an abstract inner world? Even a „soul space“, a zone of transformative and spiritual atmosphere? At this point, it’s worth noting a small but meaningful postcard that the curator of the exhibition discovered in Janssens‘ studio during one of his visits. The motive: a detail from Hieronymus Bosch’s (ca. 1450-1516) Ascension of the Blessed5. (Angels lift people into „higher realms“ and into a tunnel, from whose end an almost glaring light emanates, in which everything figurative appears not only invisible but also impossible). This picture, obviously admired by the artist, does not only refer to the Utrecht tunnel project described above. At the same time, it alludes to the intangible, the soul form of existence.
Janssens makes no secret of the fact that she is interested in physics. Her involvement with light, optics and immaterial phenomena, or with materials that reach the limits of their materiality (such as the aerogel mentioned at the beginning), as well as her contacts with institutions such as CERN, make it clear how familiar she is with science and how much it means to her to incorporate it into her art6. Nevertheless, all of this stands in the service of the effect, namely the effect on the human psyche: uncertainty (we already have mentioned it) and wavering, confusion and dizziness, amazement and enthusiasm and other qualities that put the perception of ourselves and our surroundings to the test. What can you do with boundaries (if they exist at all)? Perhaps this is the core question Janssens is concerned with.
To conclude: I can understand why Anders Kold, who curated this exhibition, keeps returning to the connection between Orlando and the work of Ann Veronica Janssens over and over again7. (After all, one would suspect that the fog – the element of nature that transforms and connects everything – is the secret star in this novel adaptation by Sally Potter.) More than that, I imagine the creator of Orlando, the Queen of the Stream of Consciousness, Virginia Woolf making her rounds here and strolling between the artist’s works. No doubt she will give Corps Noir deep glances, she is enraptured by Bluette, the star of light, and she furtively caresses the moonstone-coloured glass pane leaning against a wall with the partly cryptic and partly poetic-sounding name CL2 Blue Shadow, and she climbs on one of the bicycles, which are almost entirely made of mirrors, with undisguised dreaminess, and later she will confess: I had to be dragged out of Blue, Red and Yellow. But as the great lover of the sea what she prefers the most is to linger in the last room of the museum’s south wing, where you have an unobstructed view of the Øresund and can discover perhaps the most invisible, almost immaterial and boundless work that Ann Veronica Janssens has made expressly for the exhibition: Horizon.
TRANSLATION BY ÖZLEM ÖZDEMIR
1 Matthieu Poirier: Fleeting Elements / Exhibition Catalogue „Ann Veronica Janssens. Hot Pink Turquoise“ (published by Louisiana Museum of Modern Art und South London Gallery), p. 33
2 Matthieu Poirier: Fleeting Elements / Exhibition Catalogue (see 1), p. 31
3 It would be interesting to hear what Janssens thinks of renowned architectural firms that combine unstable fog with stable buildings. For example, Diller Scofidio + Renfro showcased their Blur Building project during the 2002 Swiss National Exhibition in the Three-Lakes Region, which uses masses of fog to create an „architecture of atmosphere“.
4 See: https://vimeo.com/31377797; last access date 7.2.2020
5 Anders Kold: Above and Beyond / Exhibition Catalogue (see 1), p. 11f.
6 The exhibition will feature films in which Janssens talks to two Danish physicists about concepts such as light, liquid and optical phenomena. The two physicists are Professor Kristine Niss (RUC in Roskilde), and Troels Petersen, Associate Professor of Experimental Subatomic Physics at the Niels Bohr Institute at the University of Copenhagen. See also: https://channel.louisiana.dk/video/ann-veronica-janssens-passion-light; last access date 6.2.2020
7 Anders Kold: Above and Beyond / Exhibition Catalogue (see 1), p. 9ff.