Das Prager Büro Atelier 111 Architekti präsentiert, wie man einem Werkstattgebäude auf dem Lande Fragilität verleiht und sie mit Leuchtkraft über ihren funktionalen Schatten springen lässt
14. März 2020 | Özlem Özdemir
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s gibt wahrscheinlich nicht viele Menschen, die von Opatov gehört haben. Kein Wunder, der Ort hat nur 1180 Einwohner und liegt in der Region Pardubice zwischen den Städten Svitavy und Česká Třebová. Das kleine Dorf ist umgeben von Wäldern und Teichen und besitzt das größte Photovoltaikwerk der Tschechischen Republik. Daneben haben sich hier auch andere wohlhabende Unternehmen niedergelassen. Es gibt eine gute medizinische Versorgung, einen Fußballplatz, einen Tennisplatz, ein Kulturzentrum, ein Freizeitzentrum, eine Bibliothek und eine Motocross-Anlage. Angesichts der geringen Einwohnerzahl ist das Angebot erstaunlich vielfältig. Trotzdem: Ausgerechnet hier? (Möchte man fast fragen.) Die Rede ist von einem architektonischen Neuzugang in Opatov, einem funktionalen Bautyp, dem man woanders keine sonderliche Beachtung schenken würde und der hier auf dem Lande, zum Leuchten gebracht, regelrecht zum Star wird.
Und so kam es dazu: Vor zehn Jahren erhielt Opatov eine Biogasanlage. Ihr Entwurf stammte von Atelier 111 Architekti. Dazu gehörte ein überdachter Lagertank mit Gasspeicher und ein Betonfermenter: Beide mit kreisrundem Grundriss, beide strahlend weiß. Besonderes Kennzeichen ist hierbei das weich geformte Kuppeldach des Fermenters. Der Nebeneffekt war, dass der zufriedene Kunde, ein privater landwirtschaftlicher Betrieb, auf den Geschmack gekommen war. Und er wandte sich erneut an dasselbe Büro. Der Grund: Er benötigte umfangreichere und neuere Einrichtungen für das Reparieren und die Wartung von großen landwirtschaftlichen Maschinen. Der Auftrag diesmal war also eine moderne Werkstatt zuzüglich Personalräumen, Speisesaal und alles, was dazu gehört.
Jiří Weinzettl und Veronika Indrová von Atelier 111 Architekti machten sich, zusammen mit dem Ingenieur Michal Hamada, an die Arbeit. Auf der Suche nach dem passenden architektonischen Ausdruck wurden sie fündig in der Region. Sie übernahmen charakteristische Elemente der landwirtschaftlichen Gebäude in der Umgebung. Von der benachbarten Biogasanlage, die sie selbst gestaltet hatten, griffen sie die weiße Trapezblechverkleidung auf.
Aber anders als bei ihrem ersten Projekt für den bereits bekannten Kunden, hat das Prager Architekturbüro hier – trotz überschaubarer Funktionen – mehr gestalterischen Spielraum. (Das gilt vor allem für das Fassadendesign, dazu später mehr.) Der neue Werkstattbau ist eine eingeschossige dreischiffige Halle und basiert auf einem einfachen rechteckigen Grundriss von ca. 29 x 23 m. Die Einteilung ist naheliegend: In der Mitte befindet sich der zentrale Arbeitsbereich, der zu beiden Seiten umgeben ist von den Räumen des Personals und anderen Nebenräumen.
Um die technischen Arbeiten an den landwirtschaftlichen Geräten zu erleichtern, war es vor allem wichtig, für geeignete Lichtverhältnisse zu sorgen. Die gleichmäßige Helligkeit in der Halle erzielt das Büro zum einen mit vier großen verglasten Toren, die für den Zugang der Maschinen, wie etwa Traktoren, gedacht sind. Zum anderen erhält sie im oberen Bereich des Dachfirstes ein erhöhtes Oberlicht. Dessen Querschnitt von ca. 3 x 3 m würde es erlauben, darin bequem aufrecht zu stehen, gäbe es darin einen Steg. Aber die Struktur des Gebäudes beschränkt sich nur auf das Allernotwendigste.
So ist die Tragkonstruktion als ein schlichtes vorgefertigtes Stahlskelett ausgeführt. Seine Verkleidung besteht bei den Frontseiten und dem Dach aus präfabrizierten IPN-Platten (hierin enthalten ist das besagte weiße Trapezblech). Womit man also bei der Fassadengestaltung angelangt wäre.
Das Prinzip der Fassade ist zweigeteilt. Vorne und hinten verhält sich das Gebäude opak. (Die jeweiligen zwei Tore sind dabei ausgenommen). Anders die lateralen Flächen: Diese behandeln die Architekten etwas differenzierter. Am höchsten Punkt sticht das Gebäude durch ein riegelartiges Oberlicht hervor. An seinen Längsseiten ist es mit transluzenten Elementen ausgestattet, wodurch sich die Fachwerkkonstruktion dahinter mehr oder weniger abzeichnet. Darunter setzen die beiden Dachflächen an, die (wie bereits erwähnt) dasselbe Oberflächenmaterial wie die Frontseiten aufweisen. Schließlich folgt der Rest der Nordost- bzw. Südwest-Fassade: Diese Wände bestehen aus Systemprofilen mit einmontierten Glas-Beton-Fassadenpaneelen wie Copilite und Profilite, die bis zur Traufhöhe gehen.
Die letzteren Seitenfassaden sind es, die der Werkstatthalle zu einem eigenen Charakter verhelfen. Denn vor allem von außen gesehen, kann man ungewöhnliche Entdeckungen machen. Ihre milchig-halbtransparenten Elemente (die nur durch einige gleichhohe schmale Glasscheiben unterbrochen sind) haben eine bemerkenswerte Eigenschaft: Je nachdem von wo aus man sie sieht und unter welchen Lichtbedingungen man das tut, d. h. ob es sich dabei um Tageslicht handelt oder um den Fall, dass es gerade dämmert und die Lampen im Innenraum an sind, je nachdem also ändert sich das Aussehen, die Gestalt. Mal erinnert die Oberfläche an einen Perlmutt-Schimmer, mal an oxidiertes Kupfer. Und manchmal verwandelt sie das ganze Gebäude in ein überdimensionales Schattentheater oder eine etwas zerbrechliche Papierlaterne. Dem poetischen Potenzial des Betrachters sind keine Grenzen gesetzt.
Dennoch: Das Ergebnis ist seinen Konturen nach fast klischeehaft. Sie gleichen einer Scheune, einer Halle, einem Lager. Wichtiger Faktor für diese Reinheit der Form ist nicht zuletzt die Farbe. Das ist insofern bemerkenswert, als dass die Gebäudehülle zum robusten Geschehen im Innern einen Kontrast darstellt. Schließlich geht es hier um eine technische Werkstatt und man darf nicht vergessen: Es wird bei der Arbeit an den Maschinen oftmals schwierig und schmutzig zugehen. Die Fassade jedoch ist im Gegensatz dazu einfach, hell und sauber.
In der Welt der Architektur, vor allem die der Moderne, ist es eine bekannte Tatsache: Wenn ihre architektonischen Qualitäten – Klarheit und Funktionalität – hervorgehoben werden, eignen sich technische Anlagen vorzüglich zum archaischen oder auch futuristisch anmutenden Bauen. Das gilt übrigens auch für Bauwerke der Wissenschaft und Forschung, die sozusagen von Natur aus skulptural sind und modern wirken. Hierfür ein besonders eindrückliches Beispiel ist vielleicht das majestätisch gelegene La-Silla-Observatorium in Chile, das exponiert und weithin sichtbar in den Bergen liegt. Natürlich, Opatov liegt nicht in den Anden. Dafür kann man sich eines gut vorstellen: Menschen, die die Landstraße 43 entlangfahren und sich dem kleinen Dorf nähern, werden nach Sonnenuntergang und wenn es anfängt zu dunkeln, rechter Hand etwas Leuchtendes erblicken. Es wird das White Shed sein, die aufsehenerregend-zurückhaltende Werkstatthalle von Opatov. ♦
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Agriculture meets poetry: White Shed – a workshop hall in Opatov by Atelier 111 Architekti
The Prague office Atelier 111 Architekti showcases how to give a workshop building in the countryside fragility and let it shrug off its functional boundaries with illuminating power.
There probably aren’t many people who have heard of Opatov. No wonder, this place has only 1180 inhabitants and is located in the Pardubice region between the towns of Svitavy and Česká Třebová. The small village is surrounded by forests and ponds and has the largest photovoltaic plant in the Czech Republic. Apart from this, other wealthy companies have also settled here. There is good medical care, a football pitch, a tennis court, a cultural centre, a leisure centre, a library, and a motocross track. Given the small number of inhabitants, the offer is surprisingly diverse. Still, here of all places? (One is tempted to say.) We are talking about an architectural newcomer in Opatov, a functional type of building that would not attract much attention anywhere else and which, once it is lit up, becomes a real star here in the countryside.
And that’s how it came about: Ten years ago, Opatov received a biogas plant. Its design came from Atelier 111 Architekti. It included a covered storage tank with gas storage and a concrete fermenter: Both with a circular floor plan, both bright white. A particular feature is the soft dome roof of the fermenter. The side effect was that the satisfied customer, a private agricultural enterprise, had acquired a taste for it. And he turned to the same office again. The reason: He needed more extensive and newer facilities for repairing and maintaining large agricultural machinery. So the job this time was a modern workshop plus staff rooms, dining room and everything that goes with it.
Jiří Weinzettl and Veronika Indrová from Atelier 111 Architekti set to work together with the engineer Michal Hamada. In their search for the right architectural expression, they found what they were looking for in the surrounding region. They adopted characteristic elements of the agricultural buildings in the area. From the neighbouring biogas plant, which they had designed themselves, they picked up the white trapezoidal sheet metal cladding.
But in contrast to their first project for the already well-known client, the Prague-based architectural firm has more creative freedom here – despite a modest scope of functions. (This applies above all to the façade design, more on this later.) The new workshop building is a single-story three-aisled hall basing on a simple rectangular floor plan of approximately 29 x 23 m. The arrangement stands to reason: In the middle is the central working area, which is surrounded on both sides by the staff rooms and other ancillary rooms.
To facilitate the technical work on the agricultural equipment, it was above all important to provide suitable lighting conditions. The office achieves the even brightness in the hall on the one hand with four large glazed gates, which allow access for machines such as tractors. On the other hand, it is given a raised skylight in the upper area of the ridge of the roof. Its cross-section of approx. 3 x 3 m would permit standing comfortably upright in it if there was a walkway. But the structure of the building is confined to the bare essentials.
Thus the supporting structure is a simple precast steel skeleton. Its cladding consists of prefabricated IPN panels at the front sides and the roof. (This includes the already mentioned white trapezoidal sheet metal). Which brings us to the façade design.
The principle of the façade is twofold. The front and the rear of the building are opaque – excluding the gates. The lateral surfaces are different: The architects treat them in a more nuanced way. At the highest point, the building stands out with a bar-shaped skylight. On its longitudinal sides, it comes with translucent elements that make the truss construction behind appears more or less visible. Underneath, the two roof surfaces start, which (as already mentioned) have the same surface material as the front sides. Finally, the rest of the northeast or southwest façade follows: These walls consist of system profiles with installed glass-concrete façade panels such as Copilite and Profilite, which extend up to the eaves height.
The latter side façades are what give the workshop hall its unique character. Because, notably, when you look from the outside, you can make unusual discoveries. Its milky semi-transparent elements, discontinued only by some narrow glass panes of equal height, have a remarkable characteristic: Depending on where you look at them from and under what lighting conditions you do this, i.e., whether it is daylight or whether it is just dusk and the lamps in the interior are on, the appearance, the shape changes. Sometimes the surface reminds one of pearlescent shimmer, sometimes of oxidized copper. And, sometimes it transforms the whole building into an oversized shadow theatre or a somewhat fragile paper lantern. There are no limits to the poetic potential of the viewer.
Nevertheless: In terms of its contours, the result is almost clichéd. They resemble a barn, a hall, a warehouse. An essential factor for this purity of form is not least the color. This is noteworthy in that the building shell stands in contrast to the robust operations inside. After all, this is a mechanical workshop, and we must not forget one thing: It will often be hard and dirty when it comes to working on the machines. The façade, however, is simple, bright, and clean.
In the world of architecture, especially that of modernism, it is a well-known fact: When its architectural qualities – clarity and functionality – are emphasized, technical installations are ideally suited for archaic or even futuristic-looking constructions. Incidentally, this also applies to buildings for science and research, which are, so to speak, sculptural by nature and have a modern appearance. A higly impressive example of this is perhaps the majestically located La Silla Observatory in Chile, which is situated exposed and visible from afar in the mountains. Of course, Opatov is not in the Andes. But one can well imagine one thing: People driving along highway 43 and approaching the small village will spot something shining on the right-hand side after sunset and when it starts to get dark. It is likely to be the White Shed, the spectacularly-unobtrusive workshop hall of Opatov.
TRANSLATION BY ÖZLEM ÖZDEMIR